Regionale Besonderheiten in Asien

Traditionelles Ikat-Tuch, 1900, in Orissa, Indien

Traditionelles Ikat-Tuch; Orissa, Indien um 1900

Indien und Südostasien sind die geographischen Regionen mit der größten Vielfalt an Ikat-Webereien, in denen alle drei technischen Varianten vertreten sind und sich zu einer unvergleichlichen Vielfalt an Designs entwickelt haben. In Indien sind Andhra Pradesh, Orissa und Gujarat am bekanntesten für ihre Ikat-Traditionen, aber auch Tamil Nadu in Südindien hatte einst eine aktive Produktion. Die berühmtesten und komplexesten Ikat-Textilien sind die Patola (sing. patolu) aus Gujarat. Diese sari-langen Seidentücher mit Doppel-Ikat werden nur noch von einer kleinen Gruppe von Webern in Patan hergestellt. Ihre Entwürfe erfordern große Präzision bei der Planung und Einrichtung von Kette und Schuss, da der gewünschte Effekt eine klare Kontur der Muster ist und nicht das weich verschwommene Aussehen, das für viele Ikat-Traditionen charakteristisch ist. Patola werden in Indien immer noch als Saris getragen, haben aber auch zeremonielle Funktionen, wie z.B. bei Hochzeiten, wo sie zum Drapieren von Braut und Bräutigam verwendet werden.

Jahrhundertelang wurden Patola nicht nur für eine indische Kundschaft hergestellt, sondern waren auch Luxusartikel im Handel. Ihr internationaler Ruf als hochwertige Exporttextilien war in Südostasien bereits etabliert, als sich die ersten Europäer im frühen 16. Jahrhundert mit dem Seehandel Asiens beschäftigten. Die Portugiesen und später die holländischen und englischen Händler entdeckten, dass Patola als Tauschware für den lukrativen Gewürzhandel unentbehrlich waren, um lokale Kontakte zu knüpfen. Patola, die für den südostasiatischen Markt hergestellt wurden, waren in der Regel kleiner als die sariähnlichen Textilien, die man in Indien fand, und sie hatten deutlich andere Muster.

Patola-Imitationen in Schuss-Ikat werden in Rajkot in Saurashtra, West-Gujarat, hergestellt; diese verwenden konventionelle Patola-Muster, sind aber grell in den Farben und technisch weniger anspruchsvoll. In Andhra Pradesh und Orissa werden sowohl Kett- als auch Schuss-Ikat aus Baumwolle und Seide hergestellt, manchmal auch beides in einem einzigen Tuch, wie z.B. bei den Telia-Rumal-Taschentüchern aus Chirala in Andhra Pradesh. Kett- und Schussfaden können aufeinander abgestimmt sein, um einfache Doppel-Ikat-Muster zu erzeugen, aber häufiger werden Kett- und Schuss-Ikat separat in verschiedenen Teilen des Textils platziert. Tamil Nadu und Karnataka in Südindien produzierten früher feine Baumwoll- und Seidensari mit sehr einfachen Ikat-Bändern.

Südostasien hat eine starke Kett-Ikat-Tradition, meist auf Baumwolle gearbeitet. Besondere Höhepunkte finden sich in Sarawak (Borneo) bei den Iban, den Toba Batak in Nordsumatra und in ganz Ostindonesien, speziell auf Sumba, Roti und Savu, Flores und den Solor-Inseln. Schuß-Ikat wird am häufigsten mit der Seidenweberei in Verbindung gebracht und ist vorwiegend auf dem Festland und im westlichen maritimen Südostasien zu finden; es kommt in Kambodscha bei den Khmer, in Süd-Sumatra und (als Baumwollversion) auf Bali vor. Doppel-Ikat findet man auf Bali nur im Dorf Tenganan, wo die zeremoniell wichtigen Geringsing-Tücher aus Baumwolle gewebt werden. Die im südostasiatischen Ikat verwendeten Designs kombinieren einheimische Motive mit äußeren Einflüssen, da sie Muster enthalten, die auf die Vorgeschichte der Region zurückgehen, und auf indische Textilien reagieren. Besonders relevant sind die früher aus Gujarat gehandelten Patola, die einen großen Einfluss auf die lokalen Ikat-Textilien hatten.

Zentralasien produziert Seidenkett-Ikat-Kleidungsstücke, insbesondere Mäntel, die von Männern und Frauen bis zum frühen zwanzigsten Jahrhundert getragen wurden. Diese wurden von spezialisierten Webern und Färbern in den Stadtstaaten entlang der Seidenstraße hergestellt, oft unter Einbeziehung der lokalen jüdischen Gemeinden, und wurden als stark gesteppte Oberbekleidung sowie als Untermäntel ohne Baumwollpolsterung getragen. Diese Gewänder sind charakteristischerweise mit leuchtenden Farben und großflächigen Mustern gefärbt; im Gegensatz zu einigen anderen Ikat-Traditionen, die Wert auf einen genauen Umriss der Musterung legen (die Patola von Gujarat und Kett-Ikat-Textilien aus Borneo und Ostindonesien), ist der kühne Effekt die gewünschte ästhetische Errungenschaft und nicht ein klar definiertes Motiv. In Ostasien wird Ikat weiterhin häufig in Japan hergestellt. Er wurde traditionell nur mit Indigo gefärbt, obwohl inzwischen auch andere Farben verwendet werden. Man findet sowohl Kett- als auch Schuss-Ikat, oft kombiniert zu Doppel-Ikat-Mustern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.