Letzte Aktualisierung: 30. Dezember 2010
Unser Speichel besteht zu neunundneunzig Prozent aus Wasser. Das restliche eine Prozent enthält jedoch zahlreiche Substanzen, die für die Verdauung, die Zahngesundheit und die Kontrolle des mikrobiellen Wachstums im Mund wichtig sind.
Die Speicheldrüsen in unserem Mund produzieren täglich etwa 1-2 Liter Speichel. Als Basis dient das Blutplasma, aus dem die Speicheldrüsen einige Stoffe extrahieren und verschiedene andere hinzufügen. Die Liste der Inhaltsstoffe, die bisher im Speichel gefunden wurden, ist lang – und sie wächst. Ebenso vielfältig sind die vielen Funktionen, von denen im Folgenden nur einige wichtige skizziert werden sollen.
Nahrung und Speichel
Verhindern, dass wir an der Nahrung ersticken
Eine wichtige Rolle des Speichels beim Essen liegt in seiner Schleimigkeit begründet. Während des Kauens verwandelt sich die trockene, krümelige oder zerfallende Nahrung in einen weichen, zusammenhängenden Klumpen, den „Bolus“.1 Dieser Bolus wird von langen, fadenförmigen Molekülen, den Muzinen, zusammengehalten, die sich an ihren Enden verheddern. Außerdem binden Muzine große Mengen Wasser und halten so den Bolus feucht und weich.2,3 Das ist wichtig, damit wir nicht an der Nahrung ersticken oder die Speiseröhre durch grobe Nahrungspartikel beschädigt wird.
Geschmack
Speichel ist für das Geschmacksempfinden unerlässlich. Die Geschmacksknospen liegen in tiefen, engen Gewölben auf unserer Zunge verborgen, die von trockenen, klumpigen Aromastoffen nicht erreicht werden können. Schließen Sie als Experiment die Augen und lassen Sie sich einen Würfel Kandiszucker oder Salz auf die Zunge legen. Die Unterscheidung wird umso schwieriger sein, je trockener Ihre Zunge ist. Erst wenn Sie den Klumpen mit Speichel befeuchten, werden die einzelnen Zucker- oder Salzmoleküle freigesetzt und wir schmecken süß oder salzig. Diese Funktion des Speichels wird durch seinen Hauptbestandteil, das Wasser, bewirkt.
Komplexere Lebensmittel wie Stärke oder Eiweiß, benötigen weitere Hilfe durch unseren Speichel, bevor wir sie als schmackhaft identifizieren können. Das Portfolio der Rezeptoren auf unseren Geschmacksknospen kann nur kleine Moleküle und Ionen binden, nicht aber große Molekülketten (Polymere). Aus diesem Grund schmeckt ein Stärkemolekül – obwohl es aus Millionen von Einzelzuckern (Monosacchariden) besteht – nicht süß. Um die wahre Natur der Nahrung aufzudecken, enthält unser Speichel Verdauungsenzyme.4 Jedes Enzym beschleunigt eine bestimmte chemische Reaktion, die sonst für unsere Zwecke zu langsam ablaufen würde. Amylase zum Beispiel hilft den Wassermolekülen in unserem Speichel, die chemischen Bindungen zwischen den Monosacchariden in der Stärke zu spalten. Die einzelnen freigesetzten Zuckereinheiten binden sich dann an „süße“ Rezeptoren, die dem Gehirn die Botschaft übermitteln, dass es sich tatsächlich um nahrhafte Nahrung handelt, die unbedenklich zu schlucken ist. Gleiches gilt für Proteine, aus denen Proteasen im Speichel einzelne Aminosäuren herausschneiden, von denen einige den „umami“-Rezeptor (umami = wohlschmeckend) stimulieren können.
Speichel als Baumeister
Die Hartsubstanz unserer Zähne – Schmelz und Dentin – besteht aus einem sehr harten Kristall namens Hydroxylapatit. Hydroxylapatit wird aus Kalzium-, Phosphat- und Hydroxyl-Ionen gebildet. Zusätzlich enthält es organische Moleküle, vor allem Kollagen, und im Fall von Dentin auch Zellfortsätze von Odontoblasten (Zellen, die Dentin produzieren).
Quelle der Bausteine
Wasser kann aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften Ionen aus Salzkristallen herauslösen. Kochsalz zum Beispiel zerfällt in Wasser schnell in seine Bestandteile Natrium- und Chloridionen. Obwohl in Hydroxylapatit die Ionen sehr fest gebunden sind, würde der Kristall in Wasser stetig Ionen von der Oberfläche verlieren und schrumpfen. Um diesen Prozess umzukehren, wird unser Speichel mit Calcium- und Phosphat-Ionen gesättigt. Diese besetzen die freigewordenen Plätze im Kristallgitter und verhindern so eine kontinuierliche Korrosion der Schmelzoberfläche. Würde unser Speichel ständig mit Wasser verdünnt, wäre die Konzentration an Calciumphosphat nicht ausreichend und der Zahnschmelz würde anfangen zu erodieren. Dies geschieht zum Beispiel beim sogenannten Saugflaschensyndrom bei Säuglingen. Durch langes Nuckeln an der Babyflasche, auch wenn diese nur mit Wasser gefüllt ist, werden die Zähne porös und es entsteht die typische Karies an den oberen Frontzähnen.5 Eine gute Mundhygiene mit zweimal täglichem Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta und die Minimierung des längeren Kontakts der Zähne mit Getränken mit vergärbaren Kohlenhydraten (z. B. Saft, Milch, Milchnahrung) sind einige der Strategien, die helfen können, das Risiko zu verringern.6
Neutralisierung von Säuren
Hydroxylapatit bildet sich nur, wenn genügend Hydroxyl- (OH-) und Phosphat-Ionen (PO43-) vorhanden sind. Solche Bedingungen herrschen bei alkalischem pH (pH>7). Unter sauren Bedingungen verwandeln sich die OH- Ionen in Wasser und die Phosphat-Ionen in Mono-, Di- und Trihydrogenphosphate. Diese passen nicht in das Kristallgitter und werden ausgewaschen.7 Unser Speichel verhindert dies durch Puffersubstanzen, die den pH-Wert in der Nähe von neutral, also um 7, halten. Ist der pH-Wert über einen längeren Zeitraum zu alkalisch, wächst das Hydroxylapatit zu schnell, was zu Zahnstein führt. Im Gegensatz dazu führt ein dauerhafter Kontakt mit sauren Flüssigkeiten (pH<7), z.B. beim Lutschen von Saft aus einer Babyflasche, zu porösem, dünnem Zahnschmelz.5
Oberflächenbeschichtung
Wir haben gesehen, dass die Oberfläche des Hydroxylapatit-Kristalls, der den Zahnschmelz bildet, empfindlich auf Veränderungen in der Zusammensetzung des Speichels reagiert und ständig umgebaut wird. Unsere Zähne sollen aber über viele Jahrzehnte gesund und funktionstüchtig bleiben. Daher wäre ein stabiles Milieu auf der Schmelzoberfläche wünschenswert. Auch hier spielt der Speichel eine Rolle: Bestandteile von ihm, allen voran die Muzine, lagern sich fest auf der Kristalloberfläche an und bilden eine Schutzschicht.8 Diese Schutzschicht aus Schleimstoffmolekülen, Pellikel genannt, bindet Wasser und Ionen und hält sie fest.9 Zusätzlich gleicht sie Unregelmäßigkeiten in der Kristalloberfläche aus und hält sie so glatt und geschmiert.
Speichel im Biotop der Mundhöhle
Unsere Mitbewohner
Die vielen feuchten und warmen Oberflächen in unserem Mund dienen als idealer Lebensraum (Biotop) für Mikroorganismen, hauptsächlich Bakterien, aber auch Hefen (z. B. Candida) und Protozoen (z.z. B. Entamoeba gingivalis).10 Neben dem idealen Klima profitieren diese Organismen auch von der großzügigen „Fütterung“, die sie durch unsere regelmäßige Nahrungsaufnahme erhalten.
Überleben im Biotop der Mundhöhle
Bakterien haben nur dann eine Chance, in unserem Mund zu überleben, wenn sie es schaffen, sich festzuhalten und nicht verschluckt zu werden. Einige wenige Bakterienarten, vor allem Streptokokken, können sich direkt an die Pellikel binden. Dies geschieht zum einen über positiv geladene Calcium-Ionen, die zwischen den negativ geladenen Oberflächen der Pellikel und den Bakterien vermitteln. Zum anderen gibt es auch eine direkte, spezifische Bindung bakterieller Proteine (Lektine) an die Pellikelstruktur.
Bereits fünf Minuten nach der Reinigung der Zahnoberfläche beginnen die ersten Bakterien, sich an die neu gebildete Pellikel anzuheften. Sie vermehren sich dann durch Zellteilung und bilden einen Biofilm. An diese erste Schicht von „Pionieren“ können sich wiederum andere Bakterien anheften. Nach zwei bis drei Stunden ist eine mit bloßem Auge sichtbare Plaque entstanden. In geschützten Bereichen des Mundes wachsen die Bakterienkolonien in den nächsten Tagen zu dicken, komplexen dreidimensionalen Strukturen heran, die als reife Plaque bezeichnet werden. Wird die Plaque durch Zahnbürste oder Zahnseide nicht gestört, kann sie bis zu einem Millimeter oder 300 Bakterien dick werden.11 In solch großen Kolonien leiden vor allem die unteren, dem Zahn zugewandten Schichten unter Sauerstoffmangel. Um weiterhin Energie aus der Nahrung gewinnen zu können, müssen diese Bakterien auf Gärung umschalten, einen Prozess, bei dem statt Kohlendioxid und Wasser organische Säuren entstehen. Das dadurch entstehende saure Mikroklima löst den Hydroxylapatitkristall auf und es entsteht Karies. Nach etwa einer Woche beginnt die Plaque zu mineralisieren: Kalzium und Phosphat aus dem Speichel lagern sich in der Bakterienkolonie ab und verhärten sie, was zu Zahnstein führt.
Solche dicke und feste Plaque kann sich nur an Stellen im Mund bilden, an denen sich Bakterien über viele Tage ungestört vermehren können. Der ständige Speichelfluss verhindert dies auf den meisten Zahnoberflächen, indem er lose anhaftende Bakterienschichten einfach wegspült. Selbst bei Menschen, die das Zähneputzen über einen längeren Zeitraum vernachlässigen, bilden sich auf freiliegenden Flächen keine Zahnbeläge und kein Zahnstein. Nischen wie der Zahnzwischenraum und die Zahnfleischtaschen bieten jedoch ausreichend Schutz vor der mechanischen Spülfunktion des Speichels.
Aber der Speichel kann noch mehr: Die Proteine, die auf der Zahnoberfläche die Pellikel bilden und an denen sich Bakterien festhalten können, liegen auch im Speichel noch in löslicher Form vor. Die Bakterien können nicht aktiv unterscheiden, ob das Muzin, an das sie gebunden sind, an der Zahnoberfläche fixiert ist oder frei im Speichel schwimmt und beim nächsten Schluckvorgang in den Magen gespült wird. So werden viele Bakterien mitgerissen und verschluckt. Außerdem enthält der Speichel das Enzym Lysozym, das die Zellwände bestimmter Bakterien angreift und durchlöchert, so dass sie schließlich platzen. Dann gibt es noch Antikörper (Immunglobulin A), die in den Speichel abgesondert werden und verhindern, dass sich Krankheitserreger in der Mundhöhle festsetzen.12
Unser Speichel fördert Bakterien, die keine Säuren produzieren, und er hilft, unerwünschte und überschüssige Bakterien mit Hilfe von Nitrat abzutöten. Nitrat ist eine wichtige Stickstoffquelle für Pflanzen und wird daher als Düngemittel verwendet. Viele Pflanzen, vor allem Salate und Gemüse, speichern Nitrat als Reserve für Notzeiten. Unsere Zellen haben keine große Verwendung für Nitrat, weshalb Nahrungsnitrat ungenutzt in unserem Blut schwimmt, bis wir es über den Urin ausscheiden. Einige Bakterien können jedoch Nitrat (NO3-) anstelle von Sauerstoff zur Atmung verwenden und es in Nitrit (NO2-) umwandeln. Wenn Nitrit mit Säure in Kontakt kommt, wird es zu einem starken Gift, das Bakterien in unmittelbarer Nähe töten kann. Unsere Speicheldrüsen nehmen Nitrat aktiv aus dem Blut auf und geben es mit dem Speichel in den Mund ab. Dort hat es mehrere Funktionen: Es hilft jenen Bakterien, die Nitrat anstelle von Sauerstoff veratmen können (denitrifizierende Bakterien). Bei Sauerstoffmangel produzieren sie Nitrit, aber keine Säuren, so dass sie keine Karies verursachen. Wenn ein denitrifizierendes Bakterium neben einem säureproduzierenden Bakterium lebt, wird letzteres durch die Reaktion seiner eigenen Säure mit Nitrit abgetötet, was zu einer reduzierten Säureproduktion führt. Weniger Säure bedeutet besseren Zahnschutz.13 Außerdem reagiert das Nitrit, das wir mit dem Speichel schlucken, mit der Magensäure und kann potenzielle Krankheitserreger im Magen abtöten, die möglicherweise oral aufgenommen wurden.14
Schlussfolgerungen
Was wäre also, wenn es wirklich nur Wasser wäre, das sich beim Speicheln in unserem Mund ansammelt? Wir würden viel häufiger an Nahrung ersticken, weil sich der kohäsive Bolus nicht bilden würde. Makromolekulare Nährstoffe wie Eiweiß und Stärke, aber wahrscheinlich auch Fett, würden geschmacksneutral sein. Nur vorverdaute Nahrung, die bereits einzelne Aminosäuren und Zucker enthält, würden wir schmecken können. Die durch Wasser und ungepufferte Säuren aus dem Hydroxylapatit herausgelösten Calcium- und Phosphationen würden nicht ersetzt werden. Der Zahnschmelz würde demineralisiert und porös werden. Bakterien könnten sich ungestört ausbreiten und würden durch die vermehrte Produktion von Säuren Karies verursachen.
Weitere Informationen
Artikel gekürzt und leicht verändert aus Dr. Rainer Wild Stiftung, Internationaler Arbeitskreis für Kulturforschung des Essens. Mitteilungen 2008, H. 16, S. 34-42.
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